Zwangsarbeit im Lager Heide nahe Bad Düben: „Wir wollen die Thematik in die Stadt tragen“

 

Dass unweit von Bad Düben im Nationalsozialismus ein Zwangsarbeitslager betrieben wurde, ist in der Stadt nur wenig bekannt. Zwei Vereine sind aktuell dabei, die Geschichte des Lagers gemeinsam mit Bad Dübener Jugendlichen historisch und künstlerisch aufzuarbeiten. Als Ergebnis soll ein Audiowalk entstehen, der die Historie der Zwangsarbeit an konkreten Orten in Bad Düben erfahrbar macht. Das Projekt wird durch die Partnerschaft für Demokratie Eilenburg – Bad Düben – Laußig gefördert.

Wir haben uns mit Christopher Mäbert vom Erich-Zeigner-Haus e.V. und Julia Tausend von raum 4 e.V. getroffen und uns über das Projekt ausgetauscht.

Im Mittelpunkt eures gemeinsamen Projektes steht das Lager Heide in der Nähe von Bad Düben. Was für ein Lager war das?

Christopher: Das Lager Heide war ein Zwangsarbeitslager, das zum Sprengchemiewerk Moschwig in der Dübener Heide gehörte. Es war ein großes Werk, und im Kriegsverlauf fehlten zunehmend Arbeitskräfte, die durch Zwangsarbeitende ersetzt wurden. Vor allem osteuropäische Zwangsarbeiterinnen waren im Lager untergebracht.

Die Menschen wurden gezwungen, im Sprengchemiewerk zu arbeiten, aber nicht nur dort, auch in der Region und in der Stadt Bad Düben. Die Leute konnten sich sozusagen einfach Zwangsarbeiterinnen oder Zwangsarbeiter ausleihen, die dann in Privathaushalten oder in kleinen Landwirtschafts- und Handwerksbetrieben mitarbeiten mussten.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, das Lager zum Thema eines gemeinsamen Projektes zu machen?

Julia: Wir haben uns bei der Demokratiekonferenz in Bad Düben letztes Jahr kennengelernt und beschlossen, uns mit unseren verschiedenen Backgrounds zusammentun und ein tolles Projekt mit Jugendlichen machen.

Christopher: Bei der Demokratiekonferenz gab es verschiedene Stationen, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Eine Station war inhaltlich der Frage gewidmet, woran man sich in Bad Düben erinnert. Da kam das Gespräch auf das Lager, aber niemand wusste so richtig Bescheid. Wir haben dann nachgeforscht und einen Spaziergang über das ehemalige Sprengchemiegelände in der Dübener Heide organisiert. Allmählich kam uns die Idee, das Thema aufzuarbeiten. Nur ganz wenige Menschen aus der Region wissen, dass es dort ein Zwangsarbeitslager gab. Weil wir auf dem Gelände nichts machen können – man darf das nicht betreten – und gleichzeitig deutlich wurde, dass nicht nur dort, sondern auch in Bad Düben selbst Zwangsarbeit geleistet wurde, haben wir beschlossen, die Thematik in die Stadt zu holen.

Julia: Wenn man sich durch die Stadt bewegt, stößt man in jedem zweiten Straßenzug auf Spuren. In der Umgebung lebten Zwangsarbeitende aus vielen unterschiedlichen Ländern, die auch sehr unterschiedlich behandelt wurden. Im Lager Heide selber, versteckt in den Baracken im Wald, lebten vor allem Frauen aus der Ukraine, die für die sehr gefährlichen Arbeiten eingesetzt wurden. In Bad Düben selber gab es z.B. kriegsgefangene belgische Männer, die hatten aber andere Möglichkeiten und Rechte. Es gab auch französische Zwangsarbeiter. Wie Christopher schon erzählt hat: Jeder kleine landwirtschaftliche Betrieb konnte Zwangsarbeitende nach der Schicht im Werk „ausleihen“. In der Stadtmühle wurde Zwangsarbeit geleistet, in Geschäften, in Schmieden. Das ist überhaupt nicht sichtbar in der Stadt. Zum Beispiel wurde das Thema auch nicht in die neue Ausstellung des Landschaftsmuseums der Dübener Heide aufgenommen, weil es dazu im Moment so wenig Material gibt. Dabei sind das unglaublich spannende Geschichten.

Wo steht ihr aktuell in der Projektarbeit?

Julia: Seit Beginn des Jahres machen wir Vorrecherche: An welche Orte könnten wir uns mit den Zuhörenden begeben, mit wem können wir zusammenarbeiten? Zeitzeug:innen sind natürlich kaum noch zu finden. Aber wir haben zum Beispiel Kontakt aufgenommen zu einer Familie in Belgien, deren Väter beide in Bad Düben Zwangsarbeit leisten mussten.

Christopher: Wir haben uns überlegt, welche Schwerpunkte wir setzen wollen und recherchiert, wo es noch Dokument gibt, die wir einbeziehen können. Wir haben den Leiter des Stadtmuseums Eilenburg und die Mitarbeiterinnen des Landschaftsmuseums in Bad Düben getroffen. Außerdem sind wir in engem Austausch mit dem Stadtchronisten Lutz Fischer und Tobias Schwabe, der sich im Lager auskennt und regelmäßig Führungen in der Dübener Heide anbietet.
Demnächst beginnen wir mit der Projektarbeit in der Oberschule und im Evangelischen Schulzentrum Bad Düben. Bis zu den Sommerferien im nächsten Jahr wollen wir inhaltlich so weit fertig sein, dass der Audiowalk im September 2024, mit Beginn des neuen Schuljahres, vorgestellt werden kann.

Julia: Die Jugendlichen sollen sich so vielseitig wie möglich einbringen. Das Ganze soll dann in einer App hör- bzw. erlebbar sein. Da braucht man natürlich nicht nur Texte und Hörszenen, sondern auch Musik, Töne, Geräusche, Bilder und Grafiken. Es gibt ein großes Bandprojekt an der Oberschule und ein Radio-Ganztagesangebot am Evangelischen Schulzentrum, mit denen wir gern zusammenarbeiten möchten. Außerdem werden wir Exkursionen mit den Jugendlichen machen, z.B. nach Leipzig in die Gedenkstätte für Zwangsarbeit. Und wir haben Gesprächscafés geplant, um die jugendlichen Teilnehmenden und andere Generationen in einen Austausch zu bringen. Sie werden im Winter im Kulturbahnhof Bad Düben stattfinden und sind für alle Interessierten offen.

Wie wird das Ganze in den Schulalltag eingebunden und wieviele Jugendliche nehmen teil?

Julia: Es ist ein zusätzliches Angebot und findet am Ende des Schultages statt, aller zwei Wochen eineinhalb Stunden. Idealerweise arbeiten von jeder Schule zehn Jugendliche an der Erstellung der Inhalte mit und darüber hinaus noch einige weitere an der Musik oder z.B. an Zeichnungen. Im besten Fall wären 30 Jugendliche involviert.

Mit welchen besonderen Herausforderungen habt ihr es zu tun?

Julia: Bei der Projektvorstellung haben wir bemerkt: Wenn wir anfangen über Zwangsarbeit zu sprechen, wissen die Jugendlichen nicht, wovon die Rede ist.

Christopher: Es ist etwas Abstraktes für Jugendliche. Das Thema Nationalsozialismus wird zwar behandelt, aber soviel Wissen ist einfach nicht mehr da. Großeltern, die die Zeit miterlebt haben und davon erzählen, haben diese Jugendlichen nicht mehr. Deshalb ist es wichtig, das Thema zum einen präsent zu halten und auch eine Weise des Erzählens zu finden, in die sich vor allem junge Menschen auch hineinversetzen können.

Julia: Nichts ist schlimmer als interessante Dinge zu erzählen, sie dabei aber langweilig zu verpacken.

Was wollt ihr mit dem Projekt erreichen?

Christopher: Ein Ziel ist auf jeden Fall, sichtbar zu machen, dass es das Lager Heide gab und dass es auch in Bad Düben präsent war. Das andere ist, dass sich junge Menschen mit der Geschichte auseinandersetzen. Aber auch Menschen, die in Bad Düben leben oder zu Besuch kommen, können den Audiowalk machen.

Und wie wird das Projekt in Bad Düben aufgenommen?

Christopher: Bisher ist die Resonanz sehr positiv. Es kommen auch Menschen zu uns, um uns ihre eigenen Geschichten über diese Zeit zu erzählen.

Julia: Das, das was in der Region an Geschichte präsent ist, hat fast immer mit Luther oder Napoleon zu tun. Damit schmücken sich die Städte auch. Es gibt auch einen großen Fokus auf die Natur, die Dübener Heide, aber die jüngere Zeitgeschichte kommt gar nicht vor. In unserem Projekt erleben wir jedoch, dass die Menschen sehr interessiert sind. Dadurch findet jetzt eine Auseinandersetzung in der Stadt statt.

Das klingt gut! Wir wünschen euch weiterhin viel Spaß und Erfolg und freuen uns schon auf das Ergebnis. Vielen Dank für das Gespräch.

Der Erich-Zeigner-Haus e.V. macht historisch-politische Bildungsarbeit mit Schüler:innen, darunter viele Stolpersteinprojekte. Diese sind sozusagen das Markenzeichen des Vereins, der bereits viele Stolpersteine in Leipzig, aber auch in den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen verlegt hat. Außerdem führt das Erich-Zeigner-Haus Workshops zu den Themen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Erinnerungskultur durch.

Der Verein raum 4 – Netzwerk für künstlerische Alltagsbewältigung ist ein Zusammenschluss von Theaterprofis und theaterliebenden Amateuren. Er wurde vor ungefähr 26 Jahren gegründet. Seit zwölf Jahren ist der Verein auch in Nordsachsen aktiv, vor allem mit soziokultureller Arbeit, aber auch mit Schulprojekten. Sehr bekannt in der Region ist zum Beispiel das Projekt „Landschaffttheater“.